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Hauptverband - "NEU" - Diktat der Wirtschaft

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Kranke Kassen?

Gesundheit muss uns etwas Wert sein, so tönt es aus dem Medien. Versteckte Botschaft: Nur wenn wir bereit sind mehr zu zahlen ist die Gesundheitsversorgung gesichert.

von Wilfried Leisch

Im gleichen Atemzug hören wir aber auch, dass wir in Österreich das beste Gesundheitssystem der Welt hätten. Bedroht sei diese durch das Defizite der Gebietskrankenkassen (GKK), das dzt. 1,2 Milliarden Euro ausmache. Klingt arlarmierend. „Reformen“, „neue Strukturen“, „Effizienzsteigerungen“ seien nötig. Wer will da etwas dagegen haben, klingt ja plausibel. Angeführt wird diese Debatte etwa vom Finanzminister, von der Pharmabranche, den Medien, privaten Gesundheitsanbietern und „Gesundheitsökonomen“ oder von „Experten“ aus der Industriellenvereinigung. Ein „Kassenpaket“ ist angekündigt, aber noch nicht freigegeben. Dieses sieht 450 Millionen Euro zum Schuldenabbau bis 2013 und 100 Millionen Euro für einen "Strukturfonds" ab 2010 vor. Der "Strukturfonds" wurde an die schrittweise Umsetzung der vereinbarten Einsparungen von 1,7 Milliarden Euro bis 2013 geknüpft. (1)

„Defizit“ - der große Bluff

Die Pharmaindustrie etwa schreibt weiterhin steigende Gewinne. So ist ja auch der Anstieg der Medikamentenausgaben von 1,97 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf knapp 3 Milliarden Euro im Jahr 2008 neben den Spitalskosten der größte Brocken für die Kostensteigerungen in den GKK. Zudem müssen die Kassen per Gesetz 74 % der Spitalskosen tragen, obwohl sie keinen Einfluss auf die von Ländern und Gemeinden zu 100 % geführten Spitäler haben.

Durch Maßnahmen, die seit der schwarz-blau-orangen Regierung wirksam sind, wie Senkung der Kassenbeiträge der Pensionsversicherung für Arbeiter und Angestellte und des AMS oder durch die Verpflichtung zur Übernahme von Leistungen, die nichts mit der Krankenversorgung zu tun haben (z. B. Wochengeld) entgehen den Krankenkassen jährlich (!) zwischen 850 bis 900 Millionen Euro. (2)

Die Unternehmen schuldeten 2008 den GKK 955 Millionen Euro. Letztendlich bleiben viele Sozialversicherungsbeiträge uneinbringlich: Seit 2000 mussten die Kassen insgesamt 1,1 Milliarden Euro abschreiben – diese Summe ist fast ident mit dem Kassendefizit von 1,2 Milliarden Euro. (3)

Es gibt auch nicht den beschworenen Kostenanstieg. Die Gesundheitsausgaben sind in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich stärker gestiegen als die Gesamtwirtschaft. Die Anteile am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind weitgehend stabil geblieben. (4) Was es aber gibt, sind Einnahmerückgänge. Wären die Einnahmen der Kassen (+ 33 %) genauso wie die Wertschöpfung der Wirtschaft (+ 41 %) gestiegen, gäbe es kein Defizit!

Für Ingrid Reischl, Leiterin der Grundlagenabteilung der GPA-djp und neue Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), ist klar: „Das Gesundheitswesen kann nicht über Leistungskürzungen und Einsparungen konsolidiert werden. Ohne Reform der Einnahmenbasis geht sich die Rechnung für ein ausgeglichen gebarendes, qualitativ hochwertiges und bedarfsgerechtes Gesundheitswesen nicht aus. Von besonderer Bedeutung sind dabei Maßnahmen, die der seit langem zu beobachtenden Beitragseinnahmenerosion nachhaltig entgegenwirken und eine Dynamik der Einnahmen in zumindest gleicher Ausprägung wie dem Wachstum der Volkswirtschaft garantieren. Dabei ist zu überdenken, ob es angesichts der nachhaltig sinkenden Lohnquote richtig ist, die Krankenversicherungsbeiträge ausschließlich auf die Lohnsumme zu beziehen.“ (5)

Die Sozialversicherung (Pflichtversicherung) ist auch wesentlich billiger als die privaten Versicherer (Versicherungspflicht). Haben diese Verwaltungskosten von 2 bis 3 % so sind es bei den Privaten (siehe Schweiz) jedenfalls zwischen 10 und 25 %, manchmal sogar mehr, weil ja mehr Anbieter am Markt mehr teure Direktorenposten, mehr Werbung für den Verdrängungswettbewerb um die nicht wirklich mehr werdenden Versicherten bedeuten.
Die angelbich so „teure“ WGKK hat überhaupt nur mehr 2,2 % Verwaltungskosten. „Während der Verbraucherpreisindex (VPI) von 2000 bis 2008 um 18,3 % gestiegen ist, wurde der Aufwand für die und der Personalstand in der Verwaltung im gleichen Zeittraum um 3 % bzw. 14 % gesenkt“, weiß WGKK-Obfrau Ingrid Reischl. Damit löst sich der Vorwurf der Ineffizienz in Luft auf.

Was u.a. auch den Kassen durch die Umverteilung von unten nach oben entgangen ist, macht die Entwicklung der Lohnquote, das ist der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, sichtbar. Von 1993 bis 2008 ist diese Quote von 66 auf 56 % gesunken. Für die letzten 15 Jahre aufgerechnet bedeutet dies eine Verschiebung von Arbeitseinkommen zu den Gewinnen von unvorstellbaren 98 Milliarden Euro! Dadurch wurde den Pensionskassen 15 Milliarden Euro, den Krankenkassen 5 Milliarden an Beiträgen entzogen. (6)

Das Ziel der Defizit-Propaganda

Bei der Sozialversicherung geht es in Summe um ein Volumen von über 40 Milliarden Euro (550 Milliarden Schilling) jährlich! Dieser Bereich ist derzeit noch dem Zugriff privaten Versicherer und so genannter privater Gesundheitsanbieter entzogen. Deshalb wollen die Unternehmer und ihre politische Lobby diesen Bereich für ihre Geschäftsinteressen öffnen.

Ein Instrument dazu ist der Hauptverband der Sozialversicherungsträger (HV). Seit Blau-Schwarz dominiert per Gesetz die Minderheit der ca. 400.000 Unternehmer, Selbständigen und Bauern (7 % !)über die überwältigende Mehrheit von 5,3 Millionen (93 % !) der Versicherten, die aktiven und pensionierten Arbeitnehmer. Mit der Begründung, dass sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Beiträge zur Sozialversicherung bezahlen werden beide Gruppen gleich gestellt. Tatsache aber ist, dass die so genannten „Arbeitgeberbeiträge“ zur Sozialversicherung nicht von den Unternehmern, sondern von den in den Betrieben arbeitenden Menschen erwirtschaftet werden. Mit dieser HV-Struktur wird der Selbstverwaltungsgedanke ad absurdum geführt und die Arbeitnehmer-Versicherten praktisch enteignet. Über ihre Gelder verfügt die Minderheit der Unternehmer entsprechend ihren Interessen. (7)

Worauf das hinausläuft?

Weil von der „Gesundheitsreform“ auch die Ärzte betroffen sind, sagt Ärztekammerpräsident Walter Dorner treffend worum es dabei geht: „die Machtübernahme des Kapitals im sozialen Bereich." Er warnt vor einer „fatalen Überschätzung“ der Einsparmöglichkeiten der Krankenkassen, die zu Warteschlangen, staatlicher Zuteilungs- und Billigmedizin führe. Die Folge: „Wer Geld hat, bleibt gesund und wer weniger hat, wird kränker.“ Dorner sieht eine „spekulative Verschiebung“ im Gesundheitssystem weg von medizinischen Leistungen hin zu zweifelhaften Monsterinvestitionen, die den Patienten wenig brächten. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die eben erst bekannt gewordenen „exorbitant hochgeschraubten Gewinnerwartungen von 17 Prozent“ des Gesundheitssektors von IT-Konzernen wie Siemens, die wohl in Projekten wie der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) ihre Ursache hätten. (8)

Schwamm drüber?

Mit dem „Kassendefizit“ wird Gehirnwäsche betrieben. Die Machenschaften und Gewinnabsichten der privaten „Gesundheits“anbieter werden in den Medien, hinter der große private Interessengruppen stehen (z. B. zu 50 % der deutsche WAZ-Konzern bei der Kronen Zeitung, oder der mächtige Raiffeisensektor hinter „Kurier“, Profil & Co.), kaum thematisiert! Doch genau über diese Zusammenhänge zum Schaden breitester Bevölkerungsschichten soll und muss geredet werden. Die Versicherten müssen aufgeklärt und den Nutznießern auf Kosten der Allgemeinheit entgegen getreten werden, damit die im Gewand der smarten „Gesundheitsbringer“ auftretenden diversen Experten als das entlarvt werden, was sie sind: Marktschreier ihrer eigenen Gewinnerwartungen. Wenn etwas krank ist, dann nicht die Kassen, sondern so ein Gesundheitssystem, wie die Autoren des Buches „Zukunft Gesundheit“ feststellen.


Fußnoten

(1) BM für Gesundheit, Sanierungskonzept des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, 14.9.2009 – siehe www.hauptverband.at/media/DB/571356_MRV%20Kassensanie rung%2014.9.2009.pdf); APA 15.9.2009
(2) Ärztemagazin 14/2008; WGKK-Aussendung, APA 29.9.2009
(3) Parlamentarische Anfrage von Metallergewerkschafter Franz Riepl an Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Standard, 6.11.2009
(4) Martin Rümmele/Andreas Freitag: Zukunft Gesundheit. So retten wir unser soziales System. Wien 2009
(5) Interview, Oktober 2009
(6) Hintergrund Sozialtransfers, Staatssekretär im Bundesministe- rium für Finanzen, Mag. Andereas Schieder, Oktober 2009, so wie Statstik Austria
(7) Struktur siehe: www.hauptverband.at
(8) ÖÄK-Präsident Walter Dorner lt. ÖÄK-Aussendung 26.3.2008 und Standard, 17.07.2008

aus A&W 11-2009



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