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Hauptverband - "NEU" - Diktat der Wirtschaft

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Dr. Werner Vogt

Analyse zur Gesundheitspolitik der Regierung - Standard 18. November 2004, Seite 35

KRANK UND AUSGENOMMEN
Wo die Frischgeld- beschaffungsaktion mit Selbstbehalten das Solidarprinzip verletzt, bleiben die Einsparungen der Gesundheitsreform nur eine gut gemeinte Absichtserklärung.

Werner Vogt*

Die lange angekündigte Gesundheitsreform von Maria Rauch-Kallat besteht aus zwei Teilen. Einer Frischgeldbeschaffungsaktion in der Höhe von 300 Millionen Euro und einer kommandierten Einsparungsaktion in der gleichen Höhe. Wer 300 Mio. Euro einnimmt und 300 Mio. Euro weniger ausgibt rutscht vom Minus ins Plus, sagt man uns. Eine Milchmädchenrechnung. Stimmt sie?

Sie stimmt nicht.

Die Frischgeldaktion zähmt, wenn es gut geht, das derzeitige Defizit. Schon 2005 übersteigt es die 300 Millionen und beträgt 420 Millionen, im Jahre 2006 beträgt das Defizit 580 Millionen Euro, sagen die hoch im Kurs stehenden Gesundheitsökonomen. Nachhaltig gesichert wird also mit dem derzeitigen Überfall auf Patienten nicht.

Von den fünf Maßnahmen entsprechen zwei dem Wunsch der Versicherten und dem kluger Selbstverwalter: Eine Mehrheit ist bereit, höhere Beiträge zu bezahlen, eine Mehrheit ist für die Anhebung der Höchstbemessungsgrundlage. Die Anhebung ist mit 90 Euro gering, ja ausgesprochen mager ausgefallen. Sie ist auch feig. In der nahen Schweiz ist den Wohlhabenden klar, dass sie mehr zahlen als die armen Mäuse. Hier zu Lande faseln die Konservativen gleich von "Reichensteuer" wenn das Solidaritätsprinzip, - alle zahlen, wer braucht bekommt -, materiell wird.

Nimm den Armen . . .

Immerhin, die Versicherten dürfen höhere Beiträge entrichten, die Gutgestellten ein bisschen mehr. Genau das hat der rote Sallmutter gefordert, weswegen dieser Weg auch vom Kanzler verboten wurde. Sallmutter wurde gegangen, sein Weg nun wieder gangbar.

Zwei weitere Maßnahmen der Frischgeldbeschaffungsaktion stellen unsolidarische Selbstbehalte dar: die Rezeptgebühr, der Spitalskostenbeitrag. Erstere wurde seit dem Jahr 2000 schon viermal angehoben und beträgt nun bei der fünften Erhöhung, 4,45 Euro. Gehabt hätte man gerne 5 Euro Apothekeneintrittsgebühr, hatte sie schon, dann spuckte Gusenbauer in die Suppe und die FPÖ spuckte mit.

Der Spitalskostenbeitrag wird von 7,98 Euro auf runde 10 Euro pro Tag anschwellen. Das war beschlossene Sache. Doch Rauch-Kallat begann zu schwächeln und delegierte die Sache mit der Spitalseintrittsgebühr an die Länder. Sie wird kommen. Wenn nicht heuer, dann nächstes Jahr. Die Not ist groß, die Gier nach Bargeld, egal von wem, mächtig.

Nun weiß Rauch-Kallat genau, dass Selbstbehalte das Solidarprinzip verletzen, sozialstaatsfeindlich sind, weder Patientenströme leiten noch marode Kassen nachhaltig sanieren. Das wurde in einer Studie nachgewiesen, die im Bundesinstitut für Gesundheitswesen, einem Institut der Ministerin, erstellt wurde. Freilich, wirkungslos sind Selbstbehalte nicht: "Selbstbeteiligungen treffen primär schwächere Gruppen wie chronisch Kranke und Personen mit niedrigem Einkommen und kommen somit auch in Konflikt mit den sozialen Zielen der Solidargemeinschaft."

Rauch-Kallat hat wohl wissend gegen das Solidarprinzip verstoßen, als sie die Gesunden schonte und die Kranken ausgenommen hat. Die Frischgeldaktion nimmt einer Pensionistin neun mal mehr weg als einem Topmanager. Eine 74-jährige Frau mit brutto 700 Euro Pension, die 19 Tage im Spital liegt und acht Medikamente benötigt, wird mit 44,5 Euro monatlich belastet. Der 48-jährige Topmanager mit brutto 9500 Euro Gehalt ist gesund, zahlt keinen Spitalsbeitrag und kommt mit einem Mittel gegen den Hochdruck gut davon. Er zahlt im Monat 5,1 Euro mehr Gebühr.

Nimm den Armen, schone die Reichen. Die neue Treffsicherheit. Wer in einem privaten oder gemeinnützigen Pflegeheim liegt und 655 Euro Pension erhält ist weder von der Rezeptgebühr noch vom Spitalskostenbeitrag befreit. Ihm bleiben monatlich zum satten Leben 130 Euro, nämlich 20 Prozent der Pension, den Rest liefert er im Pflegeheim ab. Auch das Pflegegeld. Von den 130 Euro zahlt er die monatlichen Rezeptgebühren, zahlt im Spital und zahlt auch noch Reservierungskosten im Pflegeheim. Das alles von 130 Euro Taschengeld. Die Pflegebedürftigen sind also die wahrhaft Ausgenommenen. Das ist nicht nur unsolidarisch, das ist asozial. Sozialstaat ade, ein Leben ohne ihn tut vielen weh.

Die Frischgeldaktion der Bundesregierung verstößt auch gegen den Solidarpakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der darin bestand, dass Beiträge zur Hälfte vom Geber, zur Hälfte vom Nehmer geleistet wurden. Das Halbe-halbe-Prinzip wurde verlassen. Von den 300 Millionen werden 230 Millionen von den Versicherten, nur 75 Millionen von den Arbeitgebern aufgebracht. Patienten zahlen zu zwei Drittel die 300-Millionen-Zeche und das bei Löhnen und Gehältern, die eher dürftig als üppig sind.

. . . schone die Reichen

Die neu ausgerufene Tabaksteuer tut so, als sei das Lungenkarzinom, der Infarkt, der Gehirnschlag eine selbst verschuldete Krankheit, für die der Schuldige gefälligst selbst aufzukommen habe. Das ist sozialmedizinisch falsch. Die Selbstschuldtheorie ist wissenschaftlich unhaltbar. Wir alle werden von Abgasen, Rußpartikeln, dem Lärm vergiftet. Das verursacht volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe.

Der zweite Teil der Gesundheitsreform, die Errichtung einer Bundesgesundheitsagentur, die den Landesplattformen gesundheitspolitische Ziele vorgibt, Strukturreformen einfordert und dabei auf "einvernehmliche Lösungen" hofft, ist eine gut gemeinte, keine falsche, aber wahre Absichtserklärung - mehr nicht. Wie man damit 300 Millionen Euro einsparen will, weiß niemand. Warum man den Hauptverband beiseite schiebt und teure Agenturen eröffnet, muss man erst erklären.

Wer den niedergelassenen Bereich, die ambulante Versorgung nicht grundsätzlich neu ordnet, kann keine Spitäler zusperren. Neuordnung ist keine in Sicht. Bürgermeister, die Spitäler schließen, sind nicht auffindbar. Solange der Hausarzt von 186 Wochenstunden nur 40 Stunden offen hält und erreichbar ist, die Fachärzte sich mit 20 Stunden zufrieden geben, füllen sich die Spitalsbetten von selbst. Das freut die Krankenkassen, die solcherart Patienten loswerden. Wird der Spitalspatient nach 4-6 Tagen entlassen, reibt sich der Spitalserhalter die Hände. So entsteht unser teures System, das keineswegs Gesundheit fördert.

Also: statt Reform eine Absichtserklärung zur Reform, mehr nicht. Ich fürchte sehr, dass statt struktureller Einsparungen eine sektorale Ausgliederung, dann ein Abverkauf kommt. Die Geldmacher (Raika, Veith-Schalle, Haselsteiner-Köck) sind in Lauerstellung. Vielleicht ist das der österreichische Weg: Spitäler verkaufen, der Käufer schließt, was ihm keinen Gewinn verspricht. Da wird dann kräftig zugesperrt werden.

*Werner Vogt ist Arzt und Publizist, Mitinitiator des "Soziastaat-Volksbegehrens"



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